Kirchenasyl in Lünern

Ein Haus der Kirchengemeinde ist für den 24-Jährigen der sichere Hafen. Dort ist er vor dem Zugriff der Behörden einigermaßen geschützt. Und aus dieser geschützten Position heraus legen er und seine Unterstützer in der Gemeinde den Fall des Flüchtlings zur erneuten Prüfung vor. Nach aktueller Lage sähe alles nach einer Abschiebung aus – ein Unding, wie Pfarrer Volker Jeck angesichts der persönlichen Bedrohungslage seines neuen Gasts erklärt. „Nach unserem Dafürhalten wäre er an Leib und Leben bedroht. Das hat er uns glaubhaft machen können.“
Auf der Suche nach einer sicheren und dauerhaften Bleibe ist der junge Mann schon weit in Europa herumgekommen. In Deutschland wurde er bereits 2015 registriert. Danach wanderte er weiter nach Dänemark. Nach dem Regierungswechsel dort haben jedoch die Rechtspopulisten eine Verschärfung des Asylrechts durchgesetzt, die für den Afghanen entweder die sofortige Abschiebung in sein Heimatland oder die Internierung in einem Abschiebungslager bedeutet hätte, so Jeck.
Der junge Akademiker schlug sich daraufhin wieder nach Deutschland durch. Doch nach den Regeln des Dubliner Abkommens könnte er von dort aus wieder nach Dänemark geschickt werden, indirekt also nach Hause.
Pfarrer Volker Jeck setzt nun darauf, dass sich die Härtefallkommission des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge mit dem Anliegen seines Gastes befasst und Deutschland eine eigene Fallprüfung aufnimmt. Dass solche Initiativen gelingen können, belegt das Beispiel eines Syrers, den die Gemeinde vor zwei Jahren in ihre Obhut nahm.
Bis zu einer Klärung des neuen Falles kümmert sich die Gemeinde um den Lebensunterhalt des Afghanen – und darum, ihn auf ein Leben in Deutschland vorzubereiten. Jeck beschreibt den jungen Mann als ausgesprochen integrationswillig. Nach zwei Jahren in Dänemark spreche er fließend Dänisch. In Lünern übernimmt es eine Mitarbeiterin der Kirche, ihm Deutsch beizubringen. „Von Tag zu Tag macht er erkennbare Fortschritte.“
Schutz durch das Hausrecht
Komplizierte Sicherheitslage
Die Sicherheitslage in Afghanistan war selbst für staatliche Stellen in Deutschland zuletzt schwer einzuschätzen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hatte die abschließenden Entscheidungen über Asylanträge von Afghanen zwischenzeitlich sogar ausgesetzt. Inzwischen wird wieder entschieden, aber wegen organisatorischer Probleme der Botschaft in Kabul kommen an sich notwendige Abschiebungsflüge nicht zustande.
Pfarrer Volker Jeck hält wenig von einer Pauschalbewertung der Sicherheitslage in einem Land. „Einen funktionierenden Rechtsstaat gibt es nicht in Afghanistan“, sagt er. Somit gebe es auch bei persönlichen Bedrohungslagen keinen verlässlichen Schutz. Den jungen Mann, den seine Gemeinde nun aufgenommen hat, hält er im Falle einer Abschiebung für „bedroht an Leib und Leben“. Dies habe der Schützling glaubhaft machen können. Unter anderem sei ein Familienmitglied aus politischen Gründen ermordet worden.
Die Idee, Schutzsuchenden an heiligen Stätten Zuflucht zu bieten, wurde bereits in der vorchristlichen Antike praktiziert. Das Christentum erreichte im Mittelalter eine kirchliche Immunität, die es Gemeinden, Klöstern und kirchlichen Würdenträgern erlaubte, selbst Straftäter zum Schutz vor Lynchjustiz aufzunehmen. Heute haben Kirchen keinen rechtlichen Sonderstatus in diesem Sinne. Wie jeder Privatmann es könnte, berufen sie sich auf ihr Hausrecht, nachdem sie selbst darüber entscheiden können, wer ihre Gebäude betritt und wer nicht. Dieses Recht können staatliche Behörden nur zur Abwehr unmittelbarer Gefahren oder mit richterlichem Beschluss übergehen. Ob die gesellschaftliche Stellung der Kirche bei den Behörden zu einer anderen Bewertung führt, als es bei einer Beherbergung durch Private der Fall wäre, sei dahingestellt.
Pfarrer Jeck: Rechtsstaat funktioniert nicht in Afghanistan
Bereits vor zwei Jahren hat die Evangelische Kirchengemeinde Hemmerde-Lünern einem Flüchtling Kirchenasyl gewährt. Diese Maßnahme erwies sich als erfolgreich. Dem jungen Mann aus Syrien waren zuvor von den Behörden in Spanien etwaige Asylansprüche verwehrt worden, und damit hätte man ihn auch aus Deutschland ungeprüft ausweisen können. Die erneute Prüfung seines Falles hierzulande ergab dann allerdings doch eine andere Bewertung. Heute lebt der frühere Kirchenschützling mit seiner Familie in einer eigenen Wohnung in Bergkamen, wo er nun sogar eine Arbeitsstelle gefunden und sich im Ganzen gut integriert habe, berichtet Pfarrer Volker Jeck.